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Mord in der Lichtburg
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Von: Ulrich Rostek |
Date:
17.11.2017 |
Die 70mm-Technik in der Essener Lichtburg (eine Kinoton FP75E, soweit
recherchierbar) hatte dieses Jahr keine Gelegenheit, Rost anzusetzen. Nach
Christopher Nolans "Dunkirk" kam der zuverlässige analoge
Doppelformatprojektor am Mittwoch, dem 08.11.2017, für die Vorpremiere von
Kenneth Branaghs "Mord im Orient Express" wieder zum Einsatz.
Im Vorfeld hatten einige Kritiker dem Film vorgeworfen, zu behäbig inszeniert zu
sein. Dabei beginnt der Film mit einem - für die Verhältnisse der 20er Jahre, in
dem die Handlung spielt - beinahe schon James-Bond-reifen Prolog. Branagh
gelingt es, in wenigen Minuten die von ihm verkörperte Figur des Hercule Poirot
in seinem gesamten Charakterspektrum vorzustellen. Dies reicht von einer schon
manischen Pedanterie zu einer an Wunder grenzenden Intuitionsgabe. So löst er
seinen ersten Fall quasi im Vorbeigehen und bringt den Schurken auf die denkbar
coolste Weise zur Strecke. Hierbei werden Fäkalien zum Gegenstand des Humors,
ohne in den Fäkalhumor abzugleiten. Das ganze hat Stil.
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Murder at the "Lichtburg"
Cinema as it Should Be - 70MM at the
Savoy
"Murder on the Orient Express"
Production Information
Internet link:
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70mm - etwas für die kleinen grauen Zellen
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Film auf Film ist etwas besonderes, vor allem mit modernem hochauflösendem
Filmmaterial und vor allem in 70mm. Eine jungfräuliche Kopie - keine Kratzer,
kein Schmutz, ein felsenfester Bildstand. Das Filmkorn ist kaum wahrnehmbar,
aber dennoch gibt es dem Film etwas organisches, etwas lebendiges, etwas, das
einer digitalen Projektion leider abgeht.
Jede Kleinigkeit, Bartstoppeln selbst in glattrasierten Gesichtern, die
filigrane Textur der Kostüme, die Maserung der edlen Hölzer, die hier verbaut
wurden - alles sticht quasi dreidimensional aus der Leinwandebene hervor, zieht
den Zuschauer förmlich in den Film hinein und führt zu einer fast intimen Nähe
zu den handelnden Figuren. Tom Tykwer beschrieb diesen Effekt einmal als "auf
Kussdistanz gehen".
Hier zeigt sich das besondere Talent der Ausstatter und Maskenbildner: Jedes
Detail lebt. Selbst in Großaufnahmen sind keine Perückenansätze und keine
Schminkfehler zu erkennen. Und dies ist wirklich eine Herausforderung, denn der
70mm Film verzeiht keine Nachlässigkeiten.
Um noch einmal auf das etwas verhaltene Tempo der Inszenierung zurück zu kommen:
Wer es gewohnt ist, einen abendfüllenden, im Tempo der Duschszene aus Hitchcocks
"Psycho" geschnitten Film auf dem Smartphone zu konsumieren, wird zu einem Film
wie diesem keinen Zugang bekommen. Weil das Auge sich in den filigranen Texturen
und den vielen Details verliert, benötigt der geneigte Zuschauer deutlich
länger, die Szenerie in sich aufzunehmen und ist dankbar dafür, wenn ihm diese
Zeit gewährt wird.
Ja, es ist großes Kino, das auch groß genossen werden soll. Hoffen wir - und
tragen wir dazu bei - dass der Film ein Erfolg wird und die schon
bereitliegenden Pläne für eine Fortsetzung realisiert werden können, denn ich
habe jetzt schon Lust auf mehr. Und natürlich in 70mm.
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Die magische Zwei
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Noch ein wenig Statistik zum Schluß: Kenneth Branagh ist der einzige
schauspielende Regisseur, der nicht nur zwei in 65/70mm aufgenommene Filme
inszeniert hat ("Hamlet" und "Murder"), sondern in diesen zwei
Filmen auch die Hauptrollen spielte. Hierbei ermöglichte er zwei seiner
renomierten Schauspielerkollegen, nämlich Judi Dench und Derek Jacobi, ebenfalls
zwei 70mm Filme in Ihre umfangreiche Filmographie einzureihen. Brannagh selbst
trat in diesem Jahr in "Dunkirk" und "Murder" als Schauspieler in
zwei 70mm Filmen auf - in zwei Rollen, wie sie unterschiedlicher nicht sein
können.
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