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Paul Thomas Andersons "The Master" - Die
Deutschland-Premiere in Panavision Super 70
Artikel der Fachzeitschrift "Cine 8-16" #24, Dezember 2012 | Read more at in70mm.com The 70mm Newsletter
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Von: Clemens
Scherer. Bild von:
Thomas Hauerslev | Date:
15.02.2013 |
Die ernsthafte Beschäftigung mit dem
70mm-Kinoformat und den technischen Herausforderungen, um entsprechende
Kopien in der bestmöglichen Qualität präsentieren zu können hatte der
Schauburg in Karlsruhe ein besonderes Ereignis beschert. Für eine
Präsentation im Rahmen ihres 8.
TODD-AO Festivals erhielt sie kurzfristig und überraschend eine 70mm
Kopie des neuen Films von Paul Thomas Anderson. Auf diese
Deutschlandpremiere von
"The Master"
konnte man sehr gespannt sein. Die letzten Male als die Produktion eines
narrativen Spielfilms auf eine 65mm-Aufnahmetechnik setzte, war 1992 für
"Far and Away" (In einem fernen Land) und 1996 für Kenneth Branaghs
"Hamlet" gewesen. Dies war inzwischen schon so lange her, dass wirklich
niemand mehr damit rechnete, nochmals einen neuen Film mit 65mm Bildwirkung
in 70mm präsentiert zu bekommen.
Vorab konnte man erfahren, dass Anderson
ursprünglich erwog "The Master" in VistaVision zu drehen, ein
cleveres Kameraformat, welches darauf zielt, Filme bis zu einem
Seitenverhältnis von 1,85:1 in einer Auflösung vergleichbar mit 65mm zu
fotografieren, allerdings unter Verwendung des üblichen 35mm Filmstocks. Wie
gut dies schon früher gelang zeigt unter anderem der auf 70mm restaurierte
Hitchcock Klassiker
"Vertigo".
Anderson lobte speziell die kräftigen
Farben und Texturen und eine satte Üppigkeit - was besonders bei
"Vertigo" regelrecht ins Auge springt.
| More in 70mm reading:
Paul Thomas Anderson's "The Master" -
Germany-Premiere in Panavision Super 70
"The Master"
goes to Karlsruhe for 70mm Festival
Photography of "The Master" in 65mm
"The
Master" goes to Denmark in 70mm
Internet link:
Cine 8-16
Schauburg.de
The Master
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Allerdings stellte sich heraus,
dass betriebsbereite
VistaVision-Kameras nicht zur Verfügung standen und so
begann Anderson alternative Versuche mit einer 65mm-Kamera. Die Ergebnisse
gefielen so gut, dass er seine Produzenten überzeugen konnte den Film in
Panavision
Super 70 drehen zu lassen.
Am 7. Oktober konnten nun die anwesenden
70mm-Fachleute und viele Fans der Filme von P. T. Anderson in einem gut
besuchten Saal dieses spezielle Experiment begutachten. Zuerst fällt auf,
dass Anderson am ursprünglich gewollten 'Breitwandformat' festgehalten hat,
der 70mm Aspect Ratio von 2,21:1 ist auf 1,85:1 kaschiert. Dann nimmt die
Geschichte ihren Lauf. Bald lässt Joaquin Phoenix keinen Zweifel mehr, dass
seiner Rolle als Freddie Quell - inzwischen rein instinktgetrieben - die
Rückkehr in eine bürgerliche Gesellschaft unmöglich ist. Die Bilder sind
klar, mit sehr realistisch wirkenden Farben, keine Tendenz zur Sättigung,
einfach nur echt. Dann kommt es zur Begegnung mit Lancaster Dodd, dessen Art
und Weise mit Freddie umzugehen diesem wieder etwas Halt im Leben gibt.
Dabei ist es eine Freude Philip Seymour Hoffman agieren zu sehen, der sich
hiermit zu Recht und wahrscheinlich als letzter in die Riege großartiger
Schauspieler einreiht, die jemals einer laufenden 65mm Kamera
gegenüberstanden. Allerdings steuert die Handlung auf keinen Höhepunkt zu,
bis zuletzt wartet man darauf, dass der Plot auf einen Punkt kulminiert, was
dann doch nicht geschieht. Wir haben einen Ausschnitt aus dem Leben einiger
Menschen gesehen, ausgesuchte Zusammentreffen, aber wollte uns Anderson auch
etwas mitteilen?
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Wer einen klassischen 70mm Film erwartet hatte,
war vielleicht etwas enttäuscht. Aber die nachfolgende Diskussion in wieweit
der Film etwas zur Scientology-Bewegung sagen will und ob diese Darstellung
solche Macht erheischenden Machenschaften verharmlost oder aber auf diese
Weise bewusst macht, wurde kontrovers geführt.
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Wer während des Films
aufmerksam hingeschaut hatte, dem konnte auffallen, dass etliche Szenen eine
minimierte Schärfentiefe zeigen. Ein einzig scharfes Objekt hebt sich
deutlich von seiner unscharf abgebildeten Umgebung ab, es erscheint
freigestellt, eine Technik die besonders mit Großformaten gelingt. Anderson
selbst hat dazu bemerkt, wie sehr ihn beim 65mm Material diese deutliche
Wirkung beeindruckt hat. Er benutzt sie zur Blickführung, der Zuschauer soll
auf das freigestellte Gesicht achten, nicht etwa auf den Wutausbruch des
Meisters, sondern auf dessen Wirkung bei seinen Anhängern.
In klassischen
65/70 Produktionen wäre minimierte Schärfentiefe ein Sakrileg gewesen. Viel
Licht bei großer Blendenzahl war der Schlüssel für hohe Schärfentiefe, so
dass möglichst das komplette Bild vor Abbildungsschärfe nur so knackte.
Unter diesem Aspekt hat Anderson das Format regelrecht missbraucht, die
äußerliche Qualität von maximaler Schärfe gegen eine innere der Blickführung
durch Freistellung getauscht. Wenn man eine Botschaft in diesem Film sucht,
dann wird man sie am ehesten unter diesem Aspekt finden.
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Paul
Thomas Anderson legt bemerkenswert großen Wert darauf, dass dieser Effekt bei
möglichst vielen Zuschauern ankommt. Es wurden vorerst immerhin bereits 16
Kopien in 70mm angefertigt und Anderson bevorzugt Kinos die dieses Format
noch spielen können. Für die Kopierung kehrte er zum Kameranegativschnitt
zurück und ließ die 70mm Kopien im analogen Kontaktkopierverfahren erstellen.
Nicht den einfacheren Weg der digitalen Abtastung und Postprocessing mit
anschließendem Reprint auf Film oder der Auswertung gleich in 4K
Digitalprojektion wie gerade bei
"Samsara"
beschritten. Denn mit dem digitalen Weg könnte er die Kontrolle verlieren,
viel zu leicht wäre eine digitale Nachbesserung unscharfer Bildinhalte zur
vermeintlichen Verbesserung des Werks. Durch den altbewährten aber
aufwendigeren Analogprozess stellt er sicher, das die 70mm Kopien den
unverfälschten Inhalt des Kameranegativs zeigen, mit jeder Botschaft die
darin enthalten sein mag. Ein seltener Glücksfall, wenn dies im Filmgeschäft
tatsächlich so kompromisslos gelingt.
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28-07-24 | |
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