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Anmerkungen zu den dreharbeiten Von "Lawrence von Arabien"
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Von: ©
Mike Fox, London. German
translation and footnotes done by Mr. Christian Appelt | Date:
01.09.2012 |
Als das Jahr 1961 zuende ging, war ich bereits einige Jahre lang
Juniormitglied im Kamerateam von Freddie Young. Gegen Ende der Dreharbeiten
zu "Greengage Summer", einer für mich sehr glücklichen Zusammenarbeit mit ihm,
fing Freddie an, über unser nächstes Projekt zu sprechen: die Geschichte
eines britischen Kriegshelden, T. E. Lawrence, des legendären "Lawrence von
Arabien".
Ich hatte das Buch Die sieben Säulen der Weisheit gelesen, den romantischen
autobiografischen Bericht, in dem Lawrence seine Abenteuer während des 1.
Weltkriegs schildert, besonders seinen berühmten Guerilla-Feldzug gegen die
türkische Armee in der arabischen Wüste.
Unter vielen Bücher gab es auch eines, in dem behauptet wurde, Lawrence sei
nur ein romantisierender Aufschneider und Wichtigtuer gewesen, der sowohl
das Ausmaß als auch die Wirksamkeit seiner Taten auf das übertrieb, was der
arabische Aufstand genannt werden sollte:
Die Niederlage der Türkei und der darauf folgende Niedergang des
Ottomanischen Reiches. Damals wie heute blieb Lawrence ein faszinierendes
Rätsel. Seither haben von der Regierung veröffentliche Dokumente
zweifelsfrei bewiesen, daß Lawrence, weit davon entfernt, ein ruhmsüchtiger
Wahrheitsverdreher zu sein, mit seinen arabischen irregulären Truppen viel
mehr beitrug, als er jemals in den Sieben Säulen der Weisheit behauptet
hatte. Vielmehr verabscheute er sein Leben lang jede Form persönlicher
Publicity wie die Pest.
Daher war ein aufwendiger Film über solch einen Mann ein unwiderstehliches
Projekt - besonders dann, wenn mein persönlicher Held David Lean, der damals
auf der Welle des Erfolgs von "Die Brücke am Kwai" getragen wurde, Regie
führen sollte.
| More in 70mm reading:
Some Notes on Shooting "Lawrence of Arabia"
Restoration of "Lawrence
of Arabia"
A Message from
Freddie A. Young
Motion
pictures photographed in Super Panavision 70 & Panavision System 65
Schauburg Cinerama, Karlsruhe,
Germany
Internet link:
telegoons.org
explore.bfi.org.uk
Schauburg
Program
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Die Sache hatte nur einen Haken: "Lawrence" sollte an Originalschauplätzen
entstehen, geplant waren sechs Monate Dreharbeiten an den historischen Orten
in der jordanischen Wüste.
In diesen Jahren war es noch möglich, daß ein Film den Drehplan um einen
oder auch drei Monate überzog - was heute kaum mehr vorkommt - und
tatsächlich sollte dies auch das Schicksal von "Lawrence" sein - nur in noch
größerem Maß!
Als junger Vater zweier Kinder wollte ich nicht so lang fern von daheim sein,
doch wagte ich es nicht, Freddie zu gestehen, daß ich aus dem Projekt
aussteigen wollte. Nun, das Schicksal wollte es anders. Einige Wochen vor
Drehbeginn eröffnete Freddie mir, daß bei den Dreharbeiten in Jordanien -
dem Haschemitischen Königreich Jordanien, einem streng moslemischen Staat -
Juden die Einreise verboten sei. Da mein Vater jüdisch war, bedauerte
Freddie mir sagen zu müssen, daß ich an diesem Film nicht mitwirken konnte.
Ich war angemessen empört und angewidert, solchem willkürlichen Vorurteil
ausgesetzt zu sein (wenn es jemals ein Oxymoron gab, dann dieses), doch es
gelang mir wohl, meine Erleichterung ihm gegenüber zu verbergen - und
außerdem ich freute mich über die Zusicherung, daß ich trotz meiner
Abwesenheit auch in Zukunft weiterhin Teil seines Teams sein würde. Ich
liebte Freddie, der wie ein Vater für mich war und respektierte ihn für
seine Arbeit und wie er sich ihr hingab - nicht nur als Kameramann, sondern
als Künstler.
Das war's also zunächst. Die Dreharbeiten an "Lawrence" nahmen ohne mich ihren
Lauf (nicht, daß die Aktien von Columbia Pictures deshalb gefallen wären),
aber nach einigen Monaten begannen die Dinge aus politischen Gründen aus dem
Ruder zu laufen. Spannungen zwischen der britischen Produktionsfirma und den
jordanischen Behörden entwickelten sich dramatisch und gipfelten darin, daß
Sam Spiegel die gesamte Produktion aus Jordanien abzog.
Die Dreharbeiten lagen sozusagen auf Eis, während David und sein Ausstatter
John Box mit einem Team von Drehort-Scouts ganz Europa nach geeigneten Orten
absuchten, um die Produktion fortzusetzen. Am Ende wurde es die andalusische
Stadt Almeria in Südspanien, die höchsten und ausgedehntesten Sanddünen
Europa lagen idealerweise nur einige Meilen entfernt an der Küste bei Cabo
de Gata.
Und wieder griff die Vorsehung ein.
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Nicolas Roeg, damals ein aufsteigender und höchst talentierter Kameramann,
der später auch Regisseur brillianter und innovativer Filme wurde, hatte mir
angeboten vom Rang des zweiten Kamerassistenten zum ersten aufzusteigen. (FUSSNOTE
1) Ich war begeistert über diese Chance, wenn auch etwas nervös wegen der
neuen Verantwortung, die sie mit sich brachte. Doch in den sieben Jahren als
zweiter Assistent - bescheidener "Klappenjunge", wie man uns damals nannte -
hatte ich mehr über die Arbeit eines Schärfeassistenten mitbekommen, als mir
bewußt war, und ich erledigte die neue Arbeit mit mehr Leichtigkeit, als ich
es erwartet hatte. (Bedenken Sie, daß wir damals mit Mitchell-Kameras
arbeiteten, deren "rack-over"-Sucher es dem Operateur nicht erlaubt, bei
laufender Kamera das Sucherbild zu sehen. Auch im seitlich angebrachten
Hilfssucher konnte er die eingestellte Schärfe nicht prüfen. das war erst am
nächsten Tag möglich, wenn die fertigen Muster (FUSSNOTE 2) vorgeführt
wurden! Diese Unsicherheit war für den Assistenten eine haarsträubende Sache
und verursachte manche schlaflose Nacht.)
Das "Lawrence"-Team drehte bereits einige Monate in Spanien, als David [Lean]
Nico[las Roeg] an Bord holte, um mit einem zweiten Drehteam (Second Unit)
oder einer zweiten Kamera direkt mit ihm zu arbeiten. Das lief
eigenartigerweise parallel zu einem bereits bestehenden zweiten Team, das
aus dem Regisseur Noel Howard und dem Kameramann Skeets Kelly bestand,
allerdings arbeiteten sie komplett losgelöst von David. Dessen Einladung an
Nico war ungewöhnlich, denn jeder wußte, daß David als ausgesprochener
Perfektionist wenig Zeit und Geduld für zweite Teams hatte. Es hieß, daß
David am liebsten jeden Meter des Film selbst gedreht hätte, dann aber der "Empfehlung"
seines Produzenten Sam Spiegel folgte, mehrere Teams einzusetzen, um den
Zeit- und Kostenrahmen nicht noch weiter zu überziehen.
Wie auch immer, Nicolas Roeg, Camera Operator Alex Thomson und ich waren
erfreut, nach Almeria zu fliegen und uns dem Hauptteam "für drei oder vier
Wochen" anzuschließen.
Regisseur unseres Teams sollte André de Toth sein, ein kampferprobtes, eher
zweifelhaftes Talent, dessen Bekanntheit sich auf eine Reihe ebenso schlauer
wie gewalttätiger Filme und seine gescheiterte Ehe mit Veronica Lake
gründete, einem netten kleinen Star der 1940er Jahre mit charakteristischer
Locke, die über ein Auge fiel.
Erst als wir uns vom Hauptteam trennten, um ausgewählte Einstellungen ohne
David Lean zu drehen, kam André ins Spiel, und das hatte seine Gründe.
Jedermann wußte, daß David absolut gegen de Toths Beteiligung war, und de
Toth - ein bulliger Typ mit einer Augenklappe, ähnlich wie der Hathaway-Hemden-Mann
(FUSSNOTE 3), nahm grundsätzlich kein Blatt vor den Mund und äußerte seine
Verachtung für David und dessen hochgelobtes Talent. Es endete damit, daß
wir weitere fünf Monate blieben (bald ohne André de Toth) und mit dem
Hauptteam nach Quarzazate in Marokko reisten, um Lawrences mörderischen
Angriff auf die geschlagenen, im Rückzug befindlichen türkischen Truppen zu
filmen. Damit waren die Dreharbeiten vor Ort erledigt und das Team packte
die Koffer, um mit den Innenaufnahmen in den Shepperton-Studios bei London
fortzufahren.
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Cabo de Gata war im Hochsommer der reinste Backofen. Seine spektakuläre
Dünenlandschaft bestand aus erstaunlich grobem Sand. Wenn die morgendlichen
thermalen Winde oder ein gelegentlicher kleiner Wirbelsturm die Sandkörner
in die Luft brachten, scheuerten sie unsere nackte Haut schmerzhaft wund.
Nicht nur das: Obwohl die Filmkameras ständig durch dicke Plastiktüten
geschützt waren, fanden wir beim Filmeinlegen oder Gate Check (FUSSNOTE 4)
immer wieder einen guten Teelöffel voll Sand im Inneren der Kamera! Trotzdem
gab es so gut wie keine Kratzer in der Emulsion des Filmmaterials. Zur
Sicherheit erledigten wir Magazinwechsel oder Gate Checks niemals im Freien,
sondern trugen die ganze Kamera in einen Wohnwagen, um dort bei
festverschlossenen Türen und Fenstern neues Filmmaterial einzulegen oder die
Filmbahn auf Fremdkörper zu untersuchen.
Super
Panavision 65 - die Bezeichnung für Panavisions sphärisches
65-mm-Verfahren (FUSSNOTE 5) - war damals noch in den Kinderschuhen. Gedreht
wurde auf Kodak Eastmancolor 5250 Negativ, die Vorführkopien wurden auf 70mm
breitem Filmmaterial hergestellt (die zusätzlichen 5mm Breite nutzte man für
die Magnettonspuren). Es gab verschiedene Kameratypen. Zwei davon basierten
auf den üblichen 35-mm-Modellen der Firma Mitchell - der laufleisen BNC
Studiokamera im Schallschutzgehäuse (Blimp) und der nicht geblimpten
NC-Kamera. Wie ihre 35-mm-Vorläufer waren diese Modelle mit "rack-over"-Suchern
ausgestattet, während der Aufnahme war man auf seitlich angebrachte
Hilfssucher angewiesen. (FUSSNOTE 6) Als drittes Modell kam von Panavision
die noch experimentelle 65mm Handheld Camera, nicht unähnlich einer
ungeblimpten [35-mm-]Arriflex-Handkamera. Anders als diese hatte die
Handheld aber kein Spiegelreflexsystem und keinen optischen Sucher. Der
Kameramann stellte das Bild mittels eines "Sportsuchers" ein, in den man
eine Ausschnittsmaske entsprechend dem verwendeten Objektiv einsetzte. (Wenn
mich die Erinnerung nicht trügt, gab es immerhin die Möglichkeit, ein Stück
Mattfilm in die Filmführung einzulegen und dann, nachdem man die
Andruckplatte entfernt hatte, das kopfstehende Bild im Bildfenster zu
überprüfen. Was sich natürlich angesichts des am Drehort herumfliegenden
Sandes völlig verbot.)
Eine weitere Kamera, noch im Stadium des Prototypen, wurde bald das
Lieblingswerkzeug von Ernest Day, dem Operateur unseres Hauptteams,
zumindest dann, wenn die Tonaufnahmen es zuließen. Das war Panavisions erste
Panaflex-Kamera. Diese leichte 65-mm-Kamera hatte einen richtigen
Spiegelreflexsucher und war nicht schallgedämmt, ihre Grundkonstruktion
wurde zum Vorbild für jene 35-mm-Kameras, die später die Filmbranche
revolutionierte.
Wenn man sich moderne Filmkameras mit einstellbarer Aufwicklung ansieht, ist
man fasziniert von der Einfachheit, mit der die frühen Mitchell-Kameras das
Problem lösten, den belichteten Film im Magazin aufzuwickeln. Ein einfacher
außenliegender Leder-Treibriemen übertrug die Kraft vom Kameragetriebe auf
die Wickelachse des Kameramagazins und trieb so die Aufwicklung in der
Kassette an. Wenn man ein neues Magazin an die Kamera gesetzt hatte, drehte
man einfach das Treibrad von Hand, bis der Film straff gespannt war und
legte dann den Lederriemen auf, um die Spannung zu halten. War der Riemen zu
lose gespannt, löste der sich stauende Film einen Notschalter im
Kameragehäuse aus, der den Motor abschaltete. Das ganze war narrensicher,
einfach und funktionierte blendend - nur gelegentlich mußte der
Kameratechniker den Treibriemen nachspannen.
Allerdings führte diese Technik bei unserer nicht geblimpten NC-Kamera zu
einem erstaunlichen Problem. Als ich eines Morgens die Kamera öffnete und
das Bildfenster prüfte, war die untere Schlaufe komplett weggezogen. Nun war
so etwas damals nicht ungewöhnlich, denn die Maßgenauigkeit in der
Herstellung des Rohfilms hatte noch nicht die heutige Perfektion erreicht,
derer man sich in Rochester rühmen kann.
Aber in diesem speziellen Fall war das Filmband an einer Stelle straff
gespannt, wo eigentlich die untere Schleife sein sollte (was normalerweise
Schrammen und Bildsprünge von Bild zu Bild verursacht), und es gab keine
sichtbare Beschädigung der Perforation. Tatsächlich lief die Kamera in
diesem Zustand sogar weiter, ohne daß es zum Filmriß kam. (FUSSNOTE 7).
Das war praktisch unmöglich! Nico, Alex und ich - beide waren langjährige
Kameraassistenten gewesen und besaßen große Erfahrung - waren ratlos und
kratzten uns ratlos am Kopf. Wie immer in solchen Fällen war die erste
Vermutung, wenn auch nur für ein bis zwei Sekunden, daß ich den Film beim
Laden der Kamera falsch einlegt hätte (also wirklich, ich bitte Sie!).
Als nächstes riefen wir Ted Williams hinzu, unseren versierten
Kameratechniker und britischen Landsmann, der nach Kalifornien ausgewandert
war, um dort für Panavision zu arbeiten. Auch er kratzte sich erst mal am
Schädel. (Offenbar ein äußerst britisches Vorgehen - entweder tut man das,
oder man trinkt erst mal eine Tasse Tee.) Nach langer Diskussion führten wir
Versuche mit Filmresten und in jeder denkbaren Kombination von
Schleifengrößen durch, nur um festzustellen, daß wir die Kamera nicht dazu
bekamen, den Fehler zu wiederholen. Vor allem beschäftigte uns die Frage,
wie das Filmmaterial um mehrere Perforationslöcher auf den mit
Andruckschuhen versehenen Zahntrommeln verrutschen oder springen konnte,
zumal diese durch die geschlossene Kameratür fixiert waren. Da all das ohne
Filmriß oder andere Schäden am Material geschehen war, blieb uns nichts
anderes übrig, als es zu einem außergewöhnlichen Vorfall zu erklären, der
sich bestimmt nie wiederholen würde. Außerdem bestätigte das Kopierwerk
später, daß es keinerlei Schäden am Originalnegativ gegeben hatte.
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Doch es geschah wieder. - Nachdem er die Kamera eingehend überprüft und sich
eine Nacht lang mit dem ganzen Mechanismus beschäftigt hatte, fand Ted
endlich die Erklärung für das Phänomen. Entscheidend war die Spannung des
Leder-Treibriemens an der Aufwicklung. Der Zug mußte genau stimmen. War er
zu schwach, so staute sich der Film und löste den Notschalter aus, was die
Kamera stoppte. War der Zug zu stark und befand sich eine große Menge
belichtetes 65-mm-Material auf der Aufwickelseite, so wirkte die
Masseträgheit der bewegten Filmrolle auf den unteren Andruckschuh und bog
ihn ein wenig auf, gerade weit genug, um die Perforationslöcher des
Filmbandes über die Zahntrommel rutschen zu lassen, und zwar so lange, bis
die untere Schleife komplett weggezogen war. Unsere Tests hatte wir mit
kleinen Rollen übriggebliebenen Filmmaterials durchgeführt, die nicht die
nötige Masse besaßen, deshalb gelang es uns nicht, das Phänomen zu
reproduzieren. Aber Ted fand den Fehler und löste das Problem, weswegen er
zu Recht ein hochbezahlter Mann war.
Ein anderes Phänomen sorgte für erneute Ratlosigkeit entlang der ganzen
Kommandokette, von Sam Spiegel über David Lean, Freddie Young, die
Kameraassistenten, das Kopierwerk und sogar bis hinüber zu Kodak in
Rochester.
Es begann mit einem alarmierenden Negativbericht des Kopierwerks: Auf dem
entwickelten Negativ war ein Daumenabdruck zu sehen, der sich etwa alle
anderthalb Meter über die ganze Filmrolle (305m) wiederholte. Irgendein
Genie im Kopierwerk schickte uns eine Warnung, die ungefähr so lautete:
"Bitte weisen Sie Ihre Kameraassistenten an, die Emulsionsfläche beim Umgang
mit dem unbelichteten Filmmaterial niemals zu berühren."
Diese Ermahnung war im Grunde zu ernst, um darüber zu spotten, aber wir
verfaßten folgende Antwort:
"Tut uns leid. Ab jetzt werden die Assistenten den Film bei laufender Kamera
nicht mehr berühren, zumal das Öffnen der Kameratür während der Aufnahme das
Bild verschleiern würde."
Natürlich wurde das nicht abgeschickt, aber zwei Dinge standen fest: Der
Fehler war ernst, und der Daumenabdruck konnte von keinem in der Kameracrew
stammen. Das Kopierwerk jammerte: "Wir waren's nicht!", und Kodak in
Rochester erklärte stirnrunzelnd: "Unwahrscheinlich, daß es an uns lag."
Während unsere Rohfilmbestände geprüft und/oder ersetzt wurden, begann eine
großangelegte Untersuchung. Nach einer Woche fand man schließlich den Fehler
- in der Kodak-Fabrik, und zwar in jener Abteilung, die die breiten
Gußrollen des Rohfilms [in völliger Dunkelheit] konfektionierte, d.h. auf
65mm Breite und 305 Meter Rollenlänge zurechtschnitt. Eine neu angelernte
Arbeitskraft zog das zugeschnittene Filmband unerlaubterweise mit der Hand
weiter und hinterließ dabei prächtige Daumenabdrücke auf der Emulsionsseite.
Er (oder sie) wurde vermutlich hinausgeführt und standrechtlich erschossen,
aber unser Problem war damit gelöst.
Gemessen an heutiger Technik waren alle 65-mm-Kameras sehr schwer -
besonders die geblimpte BNC-Studiokamera, die man - ich übertreibe wirklich
nicht! - nur mit vier Mann tragen und aufbauen konnte, wobei der vordere
Teil erheblich schwerer wog als der hintere. Ich schätze, daß diese Kamera
drehfertig mit einer 300-Meter-Rolle 65-mm-Film mindestens 50 Kilogramm wog.
Um damit fertigzuwerden, benutzte Ernie [=Ernest Day] einen verlängerten
Getriebe-Schwenkkopf von Mitchell, ein ebenso elegant entworfenes wie massiv
gebautes Gerät, das früher bei Paramount für deren nicht ganz so gewichtige
VistaVision "Lazy Eight"-Kameras (35mm mit querlaufendem Großbild) verwendet
wurde. Es bewährte sich hervorragend.
Auch die 24-Volt-Batterien zur Stromversorgung der Super Panavision Kameras
waren wirklich schwer, den Rekord hielt aber ein weiterer Akku, der
elektrisch die Temperatur der Filmführung konstant auf 27 Grad Celsius hielt,
um temperaturabhängige Abweichungen vom idealen optischen Auflagemaß zu
verhindern. Das Gewichtsproblem wurde verschärft von der
Panatron-Steuereinheit. Sie sorgte dafür, daß die Kamera mit exakt 24
Bildern pro Sekunde lief, das sind etwa 34 Meter Film pro Minute, also etwas
mehr als bei normalem 35-mm-Film, denn das 65-mm-Bild besitzt einen
Schaltschritt von fünf statt vier Perforationslöchern. Das Panatron war gut,
brachte aber weitere 15 Kilo auf die Waage.
Angesichts der oft lähmenden Hitze, der kräftezehrenden Sanddünen und des
Gewichts und Umfangs unserer Kameratechnik brauchte jeder Wechsel auf eine
neue Kameraposition viel Zeit - von "hit-and-run shooting" konnte keine Rede
sein!
Für den Assistenten gab es kleinere, aber dennoch herausfordernde Probleme.
Bei 65mm werden Gelatinefilter hinter dem Objektiv direkt vor dem
Bildfenster montiert, und diese Filter mußten strengstens sauber gehalten
werden (meistens ein Wratten 85 Farbkorrekturfilter, oft als Kombination aus
85er und 0.3 oder 0.6-Neutralgrau. (FUSSNOTE 8). Das kleinste Staubkorn wäre
bei einer Abblendung auf T16 oder mehr scharf abgebildet und im fertigen
Film sichtbar geworden. (Das lernte man schnell.) Wie nicht anders zu
erwarten, hatten die Objektive für 65mm längere Brennweiten als ihre
Gegenstücke [bei gleichem Bildwinkel, a.d.Ü.] im 35-mm-Format. Unser "Weitwinkel"
war ein 50mm, für Großaufnahmen verwendeten wir ein 210mm-Teleobjektiv. Bei
Sonnenschein, wenn man mit großer Abblendung zwischen T11 und T16 drehte,
war das kein Problem, aber bei Nachtaufnahmen sah die Sache schon anders aus.
Bei einem 210mm-Tele, auf T4 geöffnet [mit entsprechend geringer
Schärfentiefe, a.d.Ü.] saß man als Assistent wie auf glühenden Kohlen, egal
was im Bild passierte. (Jedenfalls ging es mir so.)
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Zum Thema Filter: Vielleicht eine Anmerkung dazu, wie Freddie die
wunderbaren Mondlicht-Szenen in der Wüste drehte. Traditionell gab es in der
Schwarzweißfotografie zwei Filter namens 3N5 und 5N5. Sie bestanden aus
einem leicht gelben Aero1 bzw. dem etwas dichteren Aero2-Filter in
Kombination mit einem 50%-Graufilter (ND). Soweit ich mich erinnere, mußte
man die Belichtung um anderthalb bis zwei Blenden kompensieren. Das Ziel
war, den Bildkontrast zu steigern, das Blau des Himmels abzudunkeln und
helle Wolken hervorzuheben, so daß man beim "day-for night"-Dreh eine
mondlichtähnliche Stimmung bekam. Üblicherweise drehte man mit starkem
Gegenlicht und fügte Vordergrund-Aufhelllicht nach Geschmack des Kameramanns
oder den technischen Möglichkeiten hinzu.
Diese Schwarzweißfilter verwendete Freddie nun, allerdings ohne die
Belichtung zu kompensieren, um das Gleiche im Farbfilm zu erreichen. Bei
diesen Aufnahmen informierten wir das Kopierwerk, indem wir in großen
Buchstaben auf den Negativbericht schrieben:
"DAY-FOR-NIGHT: BITTE 5 PUNKT MEHR BLAU"
Die Muster waren atemberaubend - und natürlich erhielt Freddie am Ende einen
wohlverdienten "Oscar" für seine großartige Leistung. Es ist sicher nicht
übertrieben zu sagen, daß "Lawrence of Arabia" nach mehr als einem
halbes Jahrhundert als bestes Beispiel für Wüstenfotografie in der
Geschichte des Spielfilm gelten kann. Ich wüßte nicht, was ein heutiger
Kameramann tun könnte, um das zu schlagen oder auch nur damit gleichzuziehen.
Und wissen Sie, warum? Nun, man müßte einen Meisterregisseur wie David Lean
finden, um einem meisterhaften Kameramann wie Freddie die Zeit und
Ermutigung zu gewähren, um das zu erreichen, was Freddie tat. Auch brauchte
man so talentierte Autoren wie Michael Wilson und Robert Bolt, um
unvergeßliche Dialoge zu diesen Bildern zu schreiben, und natürlich müßte
eine außergewöhnliche Musik wie die von Maurice Jarre dem Film zuarbeiten.
Nicht zuletzt bedürfte es eines Meisterproduzenten wie Sam Spiegel, mit der
Mischung aus Schlagkraft und Geduld, um eine solche Produktion so konsequent
auf Erstklassigkeit hin zu planen und durchzuführen, wie er es tat. Eine
solche Gruppe von Meistern ihres Fachs wäre in der heutigen Zeit der
Erbsenzähler, der digitalen CGI-Effekte und des computerisierten Denkens
äußerst schwer zu finden und zusammenzubringen!
Ich glaube, "Lawrence" war einzigartig. Das erste und letzte Beispiel
eines großen, immens erfolgreichen Spielfilm, der nur so entstehen konnte,
weil der Wunsch nach absoluter Qualität das Finanzielle in den Hintergrund
treten ließ. Ich habe den ursprünglichen Drehplan für "Lawrence" nie
zu Gesicht bekommen, die Dreharbeiten sollen aber auf etwa sechs Monate
angelegt gewesen sein. Am Ende verlängerten sie sich auf ungefähr 14 Monate!
Aber das fertige Produkt, außergewöhnlich in jedem Aspekt von filmischer
Kunst und Handwerk, hat die Namen seiner Schöpfer für alle Zeit in die
Filmgeschichte eingeschrieben.
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Post Script
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Bei allem Lob, das sich von Akademien, Kritikern, Institutionen und Filmfans
in aller Welt über "Lawrence" ergossen hat, gab es doch einen winzig kleinen,
kaum bemerkbaren Kamerafehler im Film. Einen Fehler, von dem vermutlich
keiner der vielen Millionen Kinobesucher etwas bemerkt hat, ausgenommen drei
Menschen: Nicolas Roeg, der leider verstorbene Alex Thomson und ich.
Er befindet sich in einer höchst eindrucksvollen Aufnahme, die David Lean
Nicos Team, also meiner Gruppe, übertragen hatte. Vom höchsten Punkt einer
Sanddüne bei Cabo de Gata blickt die Kamera durch gleißendes Sonnenlicht auf
die Wüste hinab, durch die ein türkischer Eisenbahnzug dampft, um gleich
durch ein Team von Spezialeffekt- und Sprengexperten zum Entgleisen gebracht
zu werden.
Während der Zug langsam durchs Bild fuhr, hörte ich neben mir jemanden
"Fuck!" sagen, und gleich im Anschluß ein Klicken, als Alex rasch den
Sperrhebel an seinem Schwenkkopf löste. Er hatte den Hebel versehentlich so
stehen gelassen, nachdem David den ganzen Weg zur Spitze der Düne
hinaufgestiegen war, um die Bildkomposition zu prüfen (er war begeistert).
Der Effekt dieses kleinen Klickens ist im fertigen Film zu sehen, und ich
habe es unzählige Male in Ausschnitten aus dem Film wie auch im Kino
gesehen. Der Zug bewegt sich um eine Haaresbreite zu weit über die immense
Breite des 70-mm-Bildes, und dann gibt es ein kaum merkliches Zittern im
Bild, bevor die Kamera fließend mitschwenkt und eine gewaltige Explosion und
den von den Gleisen rasenden Zug einfängt. Sicher haben auch Sie es oft
gesehen, und nie ist es Ihnen aufgefallen. Mich bringt es immer zum Lachen,
ebenso wie Alex...allerdings erst viel, viel später!
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Wichtige Anmerknung
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Als relativ junges Mitglied des Kamerateams war ich natürlich nie in die
Vorgänge unter den "großen Tieren" eingeweiht, wo man konspirierte,
diskutierte und sich verschwor, um einen der größten Filme aller Zeiten zu
schaffen. Aber während ich neben so vielen meiner Helden arbeitete, - und
sie waren die Besten der Besten der britischen Filmindustrie - war ich klug
genug, Augen und Ohren weit offen zu halten. Denn es dauerte nicht lang um
zu begreifen, daß wir an etwas arbeiteten, das sehr gut, wenn nicht sogar
einzigartig werden würde. Wir ahnten nicht, wie weit diese Einschätzung noch
hinter dem zurückbleiben sollte, was aus "Lawrence" wurde und welche
Wertschätzung dem Film entgegenbracht wurde. Ich habe an vielen Filmen mit
Regisseuren unterschiedlichster Befähigung gearbeitet, aber keiner war so
vollendet begabt wie David Lean.
Ein besonderes Erlebnis brachte mir das damals zu Bewußtsein, und zwar die
berühmte Sequenz mit dem türkischen Eisenbahnzug. Meistens gelang es mir -
ohne dabei im Weg zu sein - recht nah an die kleine Korona um David Lean
heranzukommen, wenn er eine Aufnahme einrichtete: Er selbst an der Spitze,
Regieassistent Roy Stevens zu seiner Rechten, Freddie und Ernie zu seiner
Linken, Scriptgirl Barbara Cole und der Herrscher aller Requisiten Eddie
Fowlie nur ein paar Schritte dahinter - und ich selbst, angestrengt
lauschend mit Ohren groß wie Suppenschüsseln. Es ging um den Anfang der
Sequenz, in der Peter O'Toole im arabischem Gewand den entgleisten Zug
erklimmt und den Erfolg seines Angriffs feiert, indem er über die
Wagendächer stolziert - kurz bevor ein verwundeter türkischer Offizier auf
ihn schießt.
David quälte sich schweigend mit der Frage herum, wie er die Szene beginnen
solle, und wie immer brauchte er lange Zeit, um die richtige Lösung zu
finden. Er hörte schweigend zu oder wies Vorschläge ab, die ihm seine
vertraute Truppe machte. Endlich hörte ich ihn sagen: "Das muß ein
besonderer Augenblick werden. An dieser Stelle wird die Musik lauter, das
Hauptthema des Films."
Und genau das geschieht im fertigen Film. Was mich daran so beeindruckt hat?
Nun, zu diesem Zeitpunkt war Maurice Jarre nicht einmal im Gespräch,
geschweige denn unter Vertrag genommen, um das magische Thema zu
komponieren! Noch nie hatte ich bei einem Regisseur solche Klarheit der
Vision erlebt, daß er ganz genau wußte, was er vorhatte und es auch so
durchführte.
Zum Abschluß eine Warnung an den Leser: Für viele Details in diesem Bericht
stand mir nur mein Gedächtnis zur Verfügung, und es geht um Ereignisse,
Vorfälle und Faktoren, die immerhin fünfzig Jahre zurückliegen. Daher ist es
nicht ausgeschlossen, daß ich mich an der einen oder anderen Stelle geirrt
habe. Möglicherweise hatten die Batterien der 65-mm-Kameras 110 Volt statt
24, vielleicht hatte das Weitwinkelobjektiv 40mm Brennweite statt 50. Doch
kann ich versichern, daß die generellen Tatsachen, Zahlen und Details, wenn
auch vielleicht nicht wissenschaftlich, so doch hinreichend genau sind.
Sollten Sie also einen Fehler finden, so rechne ich mit Ihrer freundlichen
Nachsicht.
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Fussnote
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FN 1:
Im angelsächsischen Raum wird der leitende Kameramann meist als Director of
Photography bezeichnet, in Großbritannien auch als Lighting Cameraman. Der
Camera Operator oder einfach Cameraman bedient physisch die Kamera (im
Deutschen früher als Schwenker bezeichnet) , während die Assistenten sich
ums Schärfeziehen, Filmeinlegen und verwandte Arbeiten kümmern.
FN 2:
Als Muster bezeichnet man die erste Vorführkopie der ungeschnittenen
Aufnahmen. Vor Einführung der Videotechnik war das die erste Gelegenheit für
das Filmteam, die gedrehten Bilder zu sehen.
FN 3:
Seit 1951 warb die Hemdenfirma Hathaway mit einem Mann, der eine Augenklappe
trug, eine der bekanntesten Werbekampagnen der Nachkriegszeit. André de Toth
(1912-2002) war in seiner Jugend auf einem Auge erblindet und trug eine
Augenklappe.
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FN 4:
Beim Gate Check (gate = Filmbahn) wird zwischen den Aufnahmen überprüft, ob
sich Staub, Emulsionsabrieb oder Fussel im Bildfenster der Kamera
festgesetzt haben. Dazu wird die Kamera geöffnet oder das Aufnahmeobjektiv
herausgenommen.
FN 5
Das Verfahren benutzt 65mm breiten Aufnahmefilm, nicht-anamorphotische
Aufnahmeobjektive und wurde zuweilen auch als Super Panavision oder Super
Panavision 70 bezeichnet.
FN 6:
Bei Kameras mit diesem Suchertyp wird der Kameramechanismus seitlich
verschoben, so daß vor der Aufnahme das Bild exakt durchs Aufnahmeobjektiv
einstellbar ist. Dann schiebt man die Kamera in Aufnahmeposition und benutzt
den seitlichen Hilfssucher, der aber nicht 100%ig mit dem aufgenommenen Bild
übereinstimmt. Erst die später üblichen Spiegelreflexsucher zeigten auch
während der Aufnahme den genauen Bildausschnitt und die eingestellte
Schärfe.
FN 7:
Die Ausgleichschleifen (Latham loop) dienen dazu, den Übergang vom
schrittweisen Transport des Filmbandes (am Bildfenster) zum kontinuierlichen
Lauf (Auf- und Abwicklung) mechanisch auszugleichen. Wird die Schlaufe
weggezogen, sind i. d. R. Bildstandsfehler und Perfoschäden die Folge.
FN 8 - Der Wratten 85 ist ein Farbkorrekturfilter, welches erlaubt, auf dem
damaligen für Kunstlicht sensibilisierten Farbfilm Außenaufnahmen bei
Tageslicht zu drehen. ND- oder Graufilter in logarithmischen Abstufungen
dienen dazu, übermäßige Helligkeit zu kompensieren.
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28-07-24 | |
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