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Die Restaurierung von „Tatis herrliche Zeiten“ („Playtime“)
“Bringing ‘Playtime’ Back to Life”
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in70mm.com
The 70mm Newsletter
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Written
by: Jean-Rene FAILLOT.
"Playtime" Project Manager for Arane/Guilliver Labs, Paris, France.
Translated into German by Hendrik Schneider
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Date:
April 18, 2004 |
1967
Ich sah „Tatis herrliche Zeiten“ zum ersten Mal im Pariser Empire Cinerama
in der Avenue Wagram; ich war 19. Das war schön, es war groß, ja riesig,
aber ich verstand gar nichts.
1970
Meinen ersten Job hatte ich in der Produktionsfirma, die Jacques Tatis erste
Filme produziert hatte, und dort sah ich (heimlich) mit ein paar Freunden „Tatis
Schützenfest“ („Jour de Fête“) mit einem 16 mm-Projektor.
Damit möchte ich sagen, dass ich irgendwie in die Welt von Tatis Filmen
hineinwuchs und dass ich nicht damit rechnete, 30 Jahre später mit der
technischen Restaurierung der Bilder eines der seltenen französischen 65 mm-Filme
beauftragt zu sein, der darüber hinaus einer von Jacques Tatis Filmen ist.
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Further
in 70mm reading:
Playtime bits
Restoration (French)
Restauration of "Play Time"
Internet link:
Les films de Mon
Oncle
Cannes
2003
The
DVD
More
DVD |
1997
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Während der Herstellung der Credits ihres Films
„Le Comptoir de Marie“ treffe ich Sophie Tatichieff. Ich zeige ihr die paar 70 mm-Maschinen, die
ich in Kiew gegen einige Filme eingetauscht habe und das kleine, 1994/95
eingerichtete 70 mm-Laboratorium (GULLIVER lab); offenbar beginnen wir, über
„Tatis herrliche Zeiten“ und über eine eventuelle Erhaltung des
Originalfilms zu sprechen.
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June 15th 1998
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Ich sehe etwa vierzig 70 mm-Filmdosen (einige mit 300 m, andere mit 600 m)
eintreffen, von denen etwa zwanzig Dosen mit 300 m rostig und als
Originalfilme gekennzeichnet sind. Ich erwarte das Schlimmste. Als erstes
beginne ich deshalb damit, die Umrisse des Films auf einem Leuchttisch zu
betrachten. Ich bin sehr bewegt angesichts dieser großen 65 mm-Bilder, aus
denen sich eines von Tatis Meisterwerken zusammensetzt. Überraschenderweise
ist der Film nicht so beschädigt, wie ich es mir vorgestellt hatte, im
Verhältnis zu seinem Alter und der Geschichte seiner Erhaltung.
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Am 26. Juni 1998 schicke ich Sophie einen ersten Bericht über den Film:
- kein verdächtiger Essiggeruch
- keine Spur einer Veränderung der Farben
- er ist nicht besorgniserregend deformiert
- die Perforation ist nicht geschrumpft (mit Lineal überprüft)
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Dennoch gibt es:
- viele Kratzer und lange Linien sowohl auf der Träger- als auch auf der
Emulsionsseite
- viele Flecken unbekannten Ursprungs (Klebstoff? Lösemittel? Entwicklung?)
- etwa zwölf Klebestellen sind wirklich in einem schlechten Zustand, aber
reparabel
- etwa 10 Sequenzen sind offensichtlich Internegative, deren Qualität nicht
zu dem Original passt (sie sind weich, körnig und mit fotografiertem Staub)
- Bilder fehlen an verschiedenen Stellen, vor allem am Anfang und/oder Ende
einer Sequenz, aber auch in der Mitte von Sequenzen (glücklicherweise
niemals mehr als drei aufeinander folgende Bilder)
- etwa ein halbes dutzend Sequenzen sind mehr oder weniger beschädigt und
mit Klebeband repariert.
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Es gibt ein lustiges Detail; die Datumsvermerke der verschiedenen
Filmschnitte, nach denen man damals Jacques Tati gefragt hatte und die
jemand mit chinesischer Tinte jeweils auf den Filmvorlauf geschrieben hat.
Ich frage an, ob ich die noch existierenden Teile der Sicherheitselemente
des Interpositivs sehen kann. Ich erhalte sie am 21. Oktober 1998, sie sind
jedoch nutzlos. Eines davon befindet sich im Anfangsstadium des
Essigsyndroms und die Farben haben sich verändert, das andere, das nicht mit
dem Wet-Gate-Verfahren kopiert wurde, ist die genaue Wiedergabe der Mängel
und Schäden des Originals. Trotzdem denke ich und schreibe ich auch an
Sophie, dass 90 % der Probleme mit traditionellen Verfahren zum Verschwinden
gebracht werden könnten, und der Rest könnte digital behandelt werden. Zum
Glück war ich mir des Arbeitsaufwandes bewusst, der auf uns wartet. Ich sage
„uns“, weil sich am Ende dieses Jahres 1998 ein kleines 70 mm-Team im Labor
zu versammeln begann.
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Einige Jahre vergingen, in denen sich hinsichtlich der Materialrestaurierung
von „Tatis herrliche Zeiten“ nichts tat, abgesehen von der Suche nach
finanzieller Unterstützung. Ich sehe manchmal Sophie, die mich über die
Entwicklung des Projekts auf dem Laufenden hält. Letztlich stellt sich das
als eine gute Sache heraus, weil sich während dieser Zeit das Gulliver lab
entwickelt; Anschaffung eines BHP-Druckers für 65/70 mm mit der Möglichkeit
einer Wet-Gate-Abtastung und einer zusätzlichen Möglichkeit, 65 mm-Negative
zu entwickeln; dann Umzug in größere Räumlichkeiten, Installation eines
schnelleren 70 mm-Positiv-Entwicklers, Anschaffung von einigem Zubehör für
65 mm und außerdem Fortschritte bei der Filmqualität.
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February 2001
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Im Februar 2001 erzählt mir Sophie zum ersten Mal von Jérôme Deschamps
(Les
Films de mon Oncle) und der zunehmenden Möglichkeit, mit der Restaurierung
wieder anzufangen.
Ungefähr im April 2001 treffe ich Jérôme Deschamps, und wir sprechen wieder
über die Fortsetzung der Restaurierung und insbesondere über die
Reproduktion des Films in seiner Originalversion. Zielvorstellung: Das
Filmfestival in Cannes im Mai 2002.
Ich erstelle einen Arbeitsplan mit den folgenden Schritten:
- die originalen kurzen Farbanpassungs-Papierstreifen zu finden versuchen
- Herstellung eines 70 mm-Positivs der Spulen 1A und 5A (300 m lange Spulen)
auf Kodak-Film 2383 im Tauchbad, um zu sehen, wie das Negativ in all den
Maschinen reagiert. Wenn das Resultat dieser Spulen (die für den allgemeinen
Zustand des Films repräsentativ sind) gut ist, wird das übrige Negativ das
Verfahren gut überstehen. Mir wird klar, dass ich das Negativ nur vier- oder
fünfmal durch den Filmabstreifer und den Drucker werde durchziehen können,
weil ich ansonsten das Original zu sehr gefährden würde.
- Überprüfung und bei Bedarf Reparatur der Klebestellen
- Verstärkung aller Klebestellen mit Klebestreifen, jedoch nur an den Seiten
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- Farbabstimmung mit Farb-Analyzer
- Projektion des neuen Positivs: Wundervoll
- Vergleich mit der alten Kopie: Ein Unterschied wie Tag und Nacht
- Wo sind diese originalen kurzen Farbanpassungs-Papierstreifen? Ich brauche
sie wirklich!
- Druck eines Internegativs auf Kodak-Film 5242 beim LAD-Wert
- Druck eines Internegativs ebenso auf 5242 beim LAD-Wert
- Druck eines Positives dieses Internegativs auf Kodak 2383
- Vergleichsprojektion des Positivs des Originals und des vom Internegativ
genommenen Positivs: Selbes Resultat; schön.
Ich führe verschiedenen Leuten einige Vergleichsprojektionen der Positive
vor (Leinwandtest), um sicher zu sein, dass ich in die richtige Richtung
gehe, und das bestätigt meine Wahl.
Nun müssen wir mit dem vollständigen Negativ arbeiten. Trotz allen Suchens
ist es schließlich unmöglich, die originalen kurzen Farbanpassungen zu
finden. Also müssen wir mit der Farbabstimmung noch mal neu anfangen.
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- Vom 24. Juni bis zum 25. Oktober 2001 Erfassung der anderen 17 Spulen Bild
für Bild mit einer vorläufigen Farbabstimmung mithilfe des Farb-Analyzers.
Es ist schwierig, weil die Farb-„Maske“ des alten Negativs eigenartig auf
das Video des Farb-Analyzers reagiert. Ich berechne einige spezielle
Voreinstellungen des Druckers für die Farbabstufung, was nicht leicht ist,
weil ich nur wenige Daten für den Abgleich habe, denn ich weiß, dass ich
wegen der Fragilität des Negativs nur mit sehr wenigen Testdruck-Positiven
arbeiten kann. Deshalb kann ich keine endgültige Farbabstimmung des Negativs
machen. Wir werden die Abstimmung auf dem Internegativ nach der Einarbeitung
der digitalen Restaurierungen fertig stellen müssen.
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September 2001
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bob 9
Letztes Treffen mit allen Akteuren, die an der Restaurierung beteiligt sind,
und mit dem vollzähligen Arane/Gulliver-Team, um einen Terminplan/Countdown
aufzustellen. Verabredete Deadline: Mai 2002 zu den Filmfestspielen in
Cannes. Ich bekomme zudem die Zusicherung, dass einige Sequenzen verlängert
würden, damit sie wieder ihre Originallänge erhalten.
Gedanken zur digitalen Bearbeitung der zu reparierenden und zu verlängernden
Sequenzen:
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couvercle
de boite
Ich hatte zwei Optionen für den Scan-Vorgang: ob anhand des Negativs oder
des Interpositivs. Da der Scan in L.A. stattfand, hätten wir sowieso ein
Sicherheits-Interpositiv herstellen müssen, wenn der Scan anhand des
Negativs gemacht worden wäre. In 65 mm waren die beiden Scan-Tests, Negativ
und Interpositiv, von der selben Qualität, aber bei dem im Tauchbad
gedruckten Interpositiv ist hinterher nichts zu reinigen; es ist schneller
und billiger. Wir wählten die Option eines 4K-Scans vom Interpositiv und
übertrugen mit 4K in 10 bits log, wobei wir das alles ständig mit der
unveränderten Druckchemie verglichen, so dass die digital restaurierten
Sequenzen mit den natürlich entwickelten, restaurierten Bildern so gut wie
möglich zusammenstimmten. Alle diese Test dauern so lang!!
Was die digitale Bearbeitung angeht, zusammengefasst: Scan vom Interpositiv
auf 5242, gedruckt im Tauchbad, aufgenommen mit einem Ciné 3 auf 5242, was
mir ein neues Original-Negativ liefert, das ich direkt in das endgültige
Internegativ einsetze, nachdem ich ein vollkommen abgestimmtes
Sicherheits-Interpositiv abgezogen habe, das in das Interpositiv des
restlichen Films integriert werden wird.
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dechirure
neg 1
Ich arbeite weiter an den Positiven, die vom Original-Negativ abgezogen
wurden, das ich Schritt für Schritt per Projektion betrachte, sobald die
Spulen abgezogen sind, um Mängel zu entdecken, die digital repariert werden
müssen. Das Schwierigste in dieser Phase ist es, auf die technischen
Probleme des Bildes konzentriert zu bleiben, während ich einen nach dem
andern die Gags des Films entdecke. Um diese Situation zu vermeiden,
betrachten einige von uns die Projektion zusammen, aber es ist ein solches
Vergnügen für uns alle, dass diese Arbeitsphase länger dauert als geplant.
Nach jeder Spulen-Projektion entdecken wir auf dem Negativ durch das Positiv
die Flecken und andere Mängel und beraten darüber, was zu tun ist. Eine
große Menge verschiedenartiger Flecken wurden mithilfe eines
Silberpoliermittels entfernt (ein alter Labortrick).
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elements
recus
Ein anderes Problem taucht auf: Der erste Teil des Films spielt vor einer
Kulisse aus grauen Mauern. Von mir wird verlangt, so neutral wie möglich zu
sein, was sehr schwierig ist, zum einen, weil sie bei den Dreharbeiten
Bogenlampen mit Farbtemperaturen benutzt haben, die nicht hinreichend genau
für diese neutralen Grautöne waren, und dann bemerke ich, dass unser 70
mm-Drucker keine sehr gute Lichtquelle hat, was dem Umstand geschuldet ist,
dass die zusätzliche Lichtquelle des Druckers die gleiche ist, die auch für
35 mm-Drucker benutzt wird, in unserem Drucker aber in Verbindung mit einem
Anamorphot-Objektiv, das den Lichtstrahl für die 70 mm-Belichtung erweitert;
das Ergebnis ist, dass alle unvermeidlichen Mängel der Lichtquelle
verdoppelt werden. Ich korrigiere das Lichtproblem mit einem System, das so
alt wie die Fotografie ist: Ich kompensiere.
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December 2001 / January 2002
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Einige Negativ-Duplikate und für den Film nicht verwendete Negative werden
mir gebracht, damit ich die ersten Verkleinerungen der hinzugefügten oder
verlängerten Sequenzen auf ein 35 mm-Positiv vornehmen kann, die in die 35
mm-Kopie integriert werden, welche wir als Arbeitskopie für die
Wiederaufbereitung von Bild und Ton benutzen. Währenddessen stelle ich auf
dem optischen Drucker fest, dass das Bildformat nahe bei dem
Seitenverhältnis von 1.85 liegt.
Ich messe das Bild auf dem Negativ genau aus: 40.56 mm x 23 mm, das ist ein
Seitenverhältnis von 1.7635, aber da es das 1.75-Format für die Projektion
nicht mehr gibt, wähle ich die 1.85-Zentrierung, so dass es möglich ist, in
der Projektion das ganze Bild von links nach rechts mit schmalen schwarzen
Balken oben und unten zu sehen. Das ist der Grund, warum ich das 35
mm-Internegativ mit diesem Rahmenverhältnis und direkt vom neuen 65
mm-Interpositiv angefertigt habe, das es mir erlaubte, bei der Verkleinerung
eine sphärische Optik von sehr hoher Qualität zu verwenden und die
bestmögliche 35 mm-Arbeitskopie zu haben.
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January/February 2002
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Im Januar und Februar 2002 gleichen wir Sequenz für Sequenz alle Spulen des
Negativs ab. Nach jedem Druck wird das Negativ bis zum endgültigen Druck des
Interpositivs Klebestelle für Klebestelle überprüft. Das nimmt sehr viel
Zeit in Anspruch.
Die Interpositive für den Scan werden zu Imagica-USA in Los Angeles
geschickt, nachdem wir einen Test-Druck angefertigt haben, den wir per
Projektion überprüfen konnten. Selbstverständlich hatten wir zuhause einige
Entwicklungsversuche mit Imagica-Aufnahmen unternommen, um für sie eine
Einstellung für ihre Aufnahmen zu bestimmen. Ich richte es so ein, dass
unsere Entwicklung so stetig wie möglich bleibt, und dank der Präzision von
Imagica und unserer Regelmäßigkeit geht die Arbeit glatt und schnell von
statten.
Die Geschichte der Anfangscredits ist die folgende: Es war unmöglich, alle
die Wolken wieder zu finden, die als Hintergrund der Credits dienten. Ich
hatte die vollständige Titelsequenz auf Hochkontrast-65 mm-Film, aber ich
hatte nur einige der Elemente, aus denen sich der Hintergrund
zusammensetzte. Wir machten einige Versuche, diese Elemente digital zu
überarbeiten, aber das Ergebnis war nicht gut, und da ich früher selber
Credits hergestellt habe, fand ich die Original-Credits sehr berührend mit
all ihren Unvollkommenheiten, die einen die Schwierigkeit sehen lassen, zu
jener Zeit (und noch heute) mit diesem Format zu arbeiten. Deshalb dachte
ich daran, es so zu lassen, wie es war, und außerdem einige Cineasten zu
überraschen, die, wenn sie die Credits sehen, glauben würden, dass die Kopie
nicht restauriert worden sei.
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March / April 2002
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Mikros Image arbeitet an der digitalen Restaurierung der beschädigten und zu
verlängernden Sequenzen.
Dann geht alles schnell. Die Vorführung auf den Filmfestspielen von Cannes
ist geplant für Sonntag, den 19. Mai 2002, nachmittags in dem großen
Auditorium Louis Lumiere. Die ersten Aufnahmen kommen aus L.A. zurück, und
offensichtlich gab es ein Missverständnis mit den digitalen Einstellungen.
Es ist nicht schlecht, aber es kann besser sein. Gilles Gaillard von Mikros
und ich fliegen nach L.A. und arbeiten mit den Leuten von Imagica vier Tage
lang an einer neuen Look-Up-Tabelle, um die Art Bild zu erhalten, die wir
wollen.
Das Farbabstimmungs-Team hatte Anfang April mit der endgültigen Abgleichung
begonnen, jedoch ohne die digitalen Sequenzen. Die letzten Aufnahmen treffen
am 10. Mai 2002 ein.
Vom 20. April bis zum 17. Mai arbeite ich ununterbrochen an der Überprüfung,
an der Übereinstimmung der aus L.A. ankommenden Elemente und dem Druck der
beiden Kopien für Cannes.
Am 3. Mai mache ich eine Ein-Tages-Reise nach Cannes mit dem Farb-Abstimmer,
um auf der großen Leinwand im Auditorium einige unvollständige Spulen des
Films zu bewerten.
Am Freitag, dem 17. Mai um Mitternacht, machen wir uns mit den beiden 70
mm-Kopien auf nach Cannes, wo wir sie am Samstag Morgen um 10 Uhr abgeben.
Die erste öffentliche Vorführung war für Sonntag Nachmittag angesetzt.
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Updated
28-07-24 |
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